Das feine Gespür – die Kompetenz der Zukunft

„Finden Sie nicht auch, dass hier gerade etwas aus dem Ruder läuft?“
„Hat er das nicht bemerkt, wie sich das Team insgeheim anders formiert?“
„Haben Sie das nicht auch geahnt, dass die Abteilung geschlossen wird?“

Vielleicht kennen Sie solche Aussagen von einem Kollegen oder Kollegin.
Menschen mit ausgeprägtem Feinsinn und innerem Sensor haben etwas von einem Spürhund:
Sie horchen bei verdächtigen Geräuschen sofort auf, sie wittern leiseste Nuancen unpassender Gerüche, halten sofort inne bei unübersichtlichem Terrain und geben bei zu hoher Abweichung umgehend Alarm zur Richtungsänderung.

Oftmals werden sie dann belächelt oder ihre kleinen Warnhinweise als übertrieben abgewunken. Das ist verständlich, denn wir Menschen nehmen die Welt und ihre Geschehnisse unterschiedlich stark wahr. Das, was die Einen nicht einmal bemerken, ist für Andere alarmierend. So ergänzen sich die Menschen im Idealfall bestmöglich.

 

Unterschiedlich starke Wahrnehmung – wie geht das?

Neurowissenschaftliche Messungen des Gehirns haben ergeben, dass es eine interessante Zusammensetzung der Menschen in Bezug auf Sensibilität gibt:

20% sind hochsensibel, ca. 50 – 60% sind normalsensibel und ca. 30 – 40% sind mindersensibel.
Dies lässt sich daran erkennen, welche Hirnareale bei unterschiedlich ausgelösten Emotionen (durch willkürlich gezeigte Bilder) wo und wie abweichend stark stimuliert werden. (Siehe Studien u.a. von Prof. Dr. M. Schreier)

Bei sehr feinsinnigen Menschen findet eine andere Art der Informationsverarbeitung statt. Es ist eine vernetzte Art und Weise mit einer tieferen Reizverarbeitung. Dadurch werden äußere und innere Impulse gleichzeitig wahrgenommen und miteinander sozusagen verknüpft. Es tauchen weit mehr Randerscheinungen auf und werden mit einbezogen, als es bei einer normalen Wahrnehmung geschieht. Das ist oft ein Segen und oft auch eine Herausforderung.

Aus Sicht der Forschung zeigt sich das Wesensmerkmal der hochsensiblen Wahrnehmung als Eignung für mehrere ausgeprägte Talente, besondere Leistungen, hohes Maß an Empathie und starke Resilienz. Dazu kommen noch ein eigener hoher Perfektionsanspruch und ein starker Drang nach Sinn und Richtung.

 

Die Vorteile des feinen Gespürs

„Ich formuliere Ihnen Ihre Ansprache gern kurz in einfache Worte, damit das Team sie auch versteht.“
„Wenn man den Ablauf an dieser Stelle verändert, läuft es reibungsloser, merken Sie das?“
„Ich kenne dieses Holz. Es  ist vom Charakter nicht dafür geeignet. Es braucht ein anderes.“
„Dieser Mensch ist nicht widerständig, er sucht nach Gehör.“

Menschen mit dem ausgeprägten feinen Gespür haben einen Sinn für Sprache, Dinge, Menschen, Zusammenhänge, Gegensätze, Kunst, Eigenarten, Wesenheit, Ästhetik und vor allem Wirkung. Sie erfassen das Gesamtgefüge mit all den Teilen darin. Und zwar nicht, wie sie es sich willentlich denken, sondern wie es intuitiv in ihnen erscheint. Sie nehmen die Natur der Dinge wahr.

Es ist, als verstünden sie die Absicht, die hinter einem Vorhaben verborgen liegt, wie eine innere Blaupause, mit der sie fortan das Procedere innerlich abgleichen. Hier werden ihnen die Stellen, die nicht übereinstimmen, sofort deutlich. Sie spüren sozusagen die Natur des Vorhabens, in die es beabsichtigt ist, gelenkt zu werden.

Abweichungen im fortlaufenden Entwicklungsprozess können dabei sanft oder massiv ausfallen. Feinsinnige Menschen empfinden sie alle als Störung.
Sie haben den Drang, möglichst frühzeitig einzuwirken, um den Preis von Schaden oder Verfehlung möglichst gering zu halten. Sie wissen, wenn es zu weit aus der Spur läuft, weil sie die Spur fühlen. Um so anstrengender ist es, sich wieder klar nach ihr auszurichten. Diese frühen Korrekturanstrengungen können dann auch schon mal von Anderen als pingelig oder übertrieben aufgefasst werden.

Fein spürende Menschen zeichnen sich jedoch kaum durch aggressive Selbstdarstellung aus, sondern werden eher aufgrund ihrer ehrlichen und harten Arbeit geschätzt. Dabei geben sie alles und vergessen oft sich selbst. Ob als ruhiges, zurückhaltendes Wesen oder als temperamentvoll auftretendes Wesen.

 

Die Herausforderungen

Wenn man viel spürt, dann kann man vieles nicht so leicht aushalten und möglicherweise für Andere nicht angemessen nachvollziehbar vermitteln. Feinsinnige Menschen haben daher mit sich selbst als auch mit ihrem Umfeld in beiderlei Richtungen gewisse Herausforderungen.

Die größte Herausforderung heutzutage in Richtung Umfeld sind der wachsende Werteverfall und die oberflächliche Schnelllebigkeit. Sie spüren, wie dabei Takt und Wertschätzung unter Menschen verlorengehen, der Job seinen Sinn verfehlt, Arbeit ihre Tiefe verliert, Dinge ihre Schönheit einbüßen und letztlich die Achtung vor der Erde fehlt, die alles ausmacht, was wir für unser aller Leben hier brauchen.

Die Klarheit solcher Menschen dazu kann somit auch Unbehagen auslösen, wenn sie aufspüren, dass auf rücksichtslose oder gar vorsätzlich schadende Art entschieden bzw. gehandelt wird, die sie nicht teilen und gezielt ansprechen.

Die höchste Herausforderung ist es daher intern für sie selbst, wenn sie dauerhaft gegen ihr inneres, aufrichtiges Wertesystem handeln sollen. Es ist ihr mit größtes Erkrankungsrisiko. Auf diese Art werden diese Menschen zu einer Art Spiegel oder Barometer der Gesellschaft.
In meinen Coachingsitzungen höre ich immer wieder von Lug und Betrug im Arbeitsumfeld durch Wachstums- und Leistungsdruck  zur Gewinnmaximierung. Die Branchen sind hier beliebig. Es löst einen hohen Leidensdruck aus. Bei allen Menschen, ob hoch-, normal- oder mindersensibel.

Finden fein spürende Menschen jedoch ihre Werte wieder in dem, was sie tun, dann kann sie ihr Gleichzeitigkeitsbewusstsein einen hohen Druck aushalten lassen. Denn wenn sie wissen, dass durch ihre Anstrengung in diesem Job gleichzeitig eine Situation, die über sie selbst hinaus weist, Verbesserung erfährt, bringen sie sich freiwillig und loyal über alle Maßen ein. Hier kann durch die hohe Sinnstiftung manchmal das eigene, gesunde Maß übersehen werden und eine massive Erschöpfung durch quasi betäubende Begeisterung entstehen.

 

Das feine Gespür für die Zukunft

Für die Neugestaltung der Wirtschaft gibt das feine Gespür einen maßgeblichen Beitrag. Menschen, die ihr feine Wahrnehmung wiederbeleben oder ausdrücken, haben eine kostbare Ressource zur Verfügung, die eine wirtschaftlich wertvolle und zukunftsweisende Kompetenz darstellt:

Sie spüren, wenn die Stimmigkeit zum ganzheitlichen Bild fehlt.
Sie spüren, wohin die Bedarfe sich naturgemäß hin weiter entfalten.
Sie spüren, wie sich rechtzeitig Fehlentwicklungen verhindern lassen.

Heute führt Wertebewusstsein und Sinnbewussstsein immer mehr Menschen aus den üblichen Jobs heraus, um mit mehr Gestaltungsmöglichkeit in die Selbständigkeit zu gehen. Hier stellen sie für sich besser sicher, dass all das berücksichtigt wird, was ihnen menschlich wichtig ist. Der Sensor für innere Zufriedenheit erhält mehr Aufmerksamkeit als der Profit mit einer nur vorübergehenden Zufriedenstellung. Das ist ein Unterschied.

Diese Bewegung ist auch in den Schulen sichtbar, wo sich immer mehr Schüler/innen verweigern. Sie spüren den Sinn nicht in einer starren Strukutr. Auch das Ambiente, das sie auf dem Arbeitsmarkt erwartet, erscheint ihnen wenig attratktiv oder sinnvoll. Gleichzeitig haben sie durch die einseitige Wissensvermittlung den Zugang zu Visionen verloren, der ihnen als junge Menschen quasi gehört und unbedingt wieder freigelegt werden sollte.

Ein sehr schönes Beispiel aus der Nähe ist der Fall von buurtz.org in den Niederlanden. Hier hat ein Pfleger zusammen mit 3 Pflegerinnen den staatlich organisierten Altenpflegedienst verlassen, der immer mehr zeiteinsparende Effizienz verlangte. Die eintigen Werte und Haltung, die sie einst mit Freude und Talent in diesen Beruf gezogen hatten, gingen unter. Die alten Menschen wurden fallmäßig abgearbeitet und es entstanden mehr Schaden und Kosten. Die Vision der Pflegedienstler sah anders aus.
Sie gestalteten die Arbeit von Grund auf neu mit einer völlig anderen, Mensch-orientierten (statt Gewinn-orientierten) Richtung. In nur wenigen Monaten kündigten immer mehr Angestellte aus staatlichen Institutionen und traten der Organisation bei. Inzwischen sind sie Marktführer in den Niederlanden. Unbeabsichtigt. Und glücklich in dem, was sie tun.

 

Fazit

Spüren und folgen – sensing and answering – so gestaltet sich die neue Wirtschaft.

Eine solche Wirtschaft fördert das optimale Zusammenspiel zwischen Menschentypen und Bedarfen in ihrer Vielfalt, in globaler und lokaler Sicht. Sie wird für das gesunde Gedeihen jeder Kultur, Gemeinschaft und Unternehmung ausschlaggebend sein in Rücksicht auf die Erde. DAS ist Business in Weisheit.

Die Zukunft liegt in den Händen des Sensitive Leadership, wie Dilts es nennt, des generative Leadership. Dies sind keine antrainierten Tools oder Fertigkeiten, sondern es drückt eine innere Haltung aus, die einem feinen Gespür für alle Teile Ausdruck verleiht.

Ich wage die Behauptung, dass ein feines Gespür die ersten Schritte in diese neue Wirtschaftsform bilden wird. Es gibt inzwischen so viele Menschen, Kompetenzen, Bildung, Wissen und Möglichkeiten, die der Natur des Menschen wieder gerechter werden können und wollen, zum Wohle aller Beteiligten, inklusive der Erde. Sie wollen in Kooperation miteinander arbeiten und nicht in Konkurrenz gegeneinander.

Mögen sich die Menschen im Innehalten und ganzheitlichen Wahrnehmen schulen, ihr Gespür weiter entfalten und das Gedeihen der Dinge und sich selbst miteinander voranbringen, im besten Sinne.