Wir führen das Interview in seinem Heimatort im Garten. Um niemanden zu belasten möchte er anonym bleiben. Mit Anfang 50 hält er Rückschau, was er beruflich im Angestelltenverhältnis erlebt hat und nun dazu bewegt, sich nach vielen Jahren endgültig selbständig zu machen.
Welche Ausbildung hat Dich angezogen und was hat Dich daran gereizt?
Nach der Schule habe ich mich nach etwas umgeschaut, mit dem man sich in alle möglichen Richtungen entwickeln kann und das ist mit BWL (Betriebswirtschaftslehre) gut machbar. Ohne große Zielsetzung darüber, was ich später mal werden will, habe ich mich offen in das Studium begeben. Ich ging an eine junge Uni, die in dem Fachbereich recht anerkannt war und zusätzlich ein recht großes Sprachprogramm anbot, was mich sehr gereizt hat.
Leider wurde hier eine merkwürdige Linie verfolgt und die Noten fielen insgesamt an der Uni daher immer wieder relativ schlecht aus. Das ist in BWL halt schwierig, wenn Du nachher mit einem schlechten Examen daher kommst, auch wenn die Uni anerkannt ist. Mit schlechteren Noten hast Du jedoch von vorneherein ziemlich wenig Chancen. Nach dem Vordiplom wechselte ich die Uni und setzte den Weg mit VWL (Volkswirtschaftslehre) fort. Hier habe ich das Hauptstudium weiter geführt. Es hat mir viel mehr Spaß gemacht. Wirtschaftspolitik fand ich sehr spannend und brachte nochmal ganz andere Zusammenhänge. In jedem Studienjahr habe ich die Chance für ein Praktikum genutzt und mir verschiedene Bereiche angesehen, Personalwesen und vor allem Marketing. Außerdem habe ich 1 Auslandsjahr eingebaut und bin für 2 Semester noch nach Brüssel gegangen. Dort habe ich zusätzlich Französisch und Englisch studiert. Anschließend bin ich für die Diplomarbeit nach Deutschland zurückgekommen. Ich habe das Studium sogar recht gut und relativ schnell bestanden
Welche Stelle hast Du Dir dann erträumt und angestrebt?
Nach dem Studium habe ich verschiedene Branchen und Stellen kennengelernt. Die Wechsel waren jeweils durch unterschiedliche Gründe bedingt. Insgesamt war ich letztlich überwiegend im Vertrieb tätig. Wesentlich für die Wechsel waren die Aspekte, die für mich zu einem Gesamtpaket gehören: Aufgabe, Perspektive, Gehalt, Standort und persönliche Weiterentwicklung.
Mit jedem Schritt erweiterte ich meine Einsatzmöglichkeit und auch Erfahrungen. Von der ersten Anstellung im kaufmännischen Bereich zuständig für Finanzierung und Versicherung, über eine Holding für Privat Labels, als Vertriebsleiter zuerst von Objektmöbeln, später von Hygieneartikeln eines Start Up Unternehmens und letztlich die Stelle als 2. Geschäftsführer einer großen Baufirma. An der Seite des Produktionsleiters und des Geschäftsführers waren wir sozusagen ein Dreigestirn der Führung. Für mich war das ein Schritt, der langfristig angedacht war.
Was geschah jeweils an dem erwünschten Arbeitsplatz?
Der Wechsel in den Vertrieb der Möbelfirma, wo ich viel Erfahrung und umfassende Qualifikationen sammeln und aktiv tätig sein konnte, hatte allerdings auch zur Folge, dass ich viel unterwegs war.
Meine Familiengründung zu der Zeit forderte einen Standortwechsel und ich wechselte beruflich in die Position des Vertriebsleiters einer Produktionsfirma für Hygieneartikel. Allerdings stellte sich hier erst nach einiger Zeit heraus, dass es wohl an Grundkapital fehlte, da wir alsbald schon nicht mehr kostendeckend produzierten. Es war ein Massengeschäft mit zu kleinen Margen. Damit hatte an erster Stelle die Produktion einen sehr hohen Druck, möglichst wenig Ausschuss und eine hohe Performance abzuliefern. Als Vertriebsleiter bist Du dann verantwortlich, die entsprechende Zahl an Kunden auch zu gewinnen.
Der Geschäftsführer erwarb dann günstig einen Zweitbetrieb in Frankreich und erhoffte sich damit, einen weiteren Markt zu erschließen. Da ich Französisch sprechen konnte, war ich jede Woche einmal in Frankreich. Dennoch blieben die Liquiditätsengpässe und wir konnten die Produktion nicht mehr klassisch vorfinanzieren. Uns fehlten hier und da ein Rohstoff und konnten nicht liefern.
Wir hatten inzwischen große und richtig gute Kunden und Abnehmer. Die Höchststrafe für einen Vertriebsleiter ist dann, wenn Du zum Kunden fährst und erklären musst, warum Du nicht geliefert hast. Ich fuhr die verschiedenen Einkaufszentralen an und statt sich wie sonst auf gegenseitige Rabatte oder Sonderaktionen zu einigen, bei denen es immer um ein „mehr“ geht, musste ich nun erklären, weshalb sie das Produkt überhaupt nicht bekamen, es also um ein deutliches „weniger“ ging. Ich versuchte ihnen bestmöglich die Lage zu schildern, während der Geschäftsführer ihnen Versprechungen machte, die er nicht halten konnte. Sein Ruf war sehr schnell dahin. Mich behandelte man weiterhin respektvoll.
Noch in Frankreich seiend, hat mir dann der Geschäftsführer gekündigt. Vor mir war der Produktionsleiter bereits entlassen worden. Einerseits war ich psychisch erleichtert und andererseits war unser Verhältnis aufgrund der verschwommen dargestellten Umstände und Vorgehensweisen und aufgrund seiner Persönlichkeit ziemlich zerrüttet. Selbst wenn es noch einen Investor gegeben hätte, wäre es zu keiner guten Zusammenarbeit mehr gekommen. Seine Art die Mitarbeiter vor der versammelten Mannschaft bloßzustellen, war weder taktisch noch psychologisch nachvollziehbar geschweige denn dienlich. Man kann so etwas seriös machen oder als Arschloch. Letzteres traf auf ihn zu. Tief drinnen war er vielleicht sogar ein Betrüger.
Mir wurde dadurch klar, dass man nicht erst einen smarten Plan B haben muss, sondern ich viel früher von meiner Seite aus schon hätte aussteigen sollen.
Als diese Produktion pleite ging, folgte ich sogleich dem Angebot eines Freundes im Bereich Vertrieb seiner großen Baufirma tätig zu werden. Dieser Freund wollte in der Holding ein neues Geschäftsfeld aufbauen und sie suchten noch einen erfahrenen Vertriebsleiter. Der war ich ja nun inzwischen und ich trat die Stelle an. Hier habe ich dann auch viel Marketingarbeit gemacht, Außenauftritt, Homepage und Messeorganisation. Nach 5 Jahren haben die Inhaber, der Freund und sein Bruder, mir die Stelle des 2. Geschäftsführers ihrer Tochterfirma angetragen, die inzwischen sehr angewachsen war. So wechselte ich aus der Holding, also der Mutterfirma, in die Tochterfirma. Der andere Geschäftsführer war ein Techniker. Ich sah in dieser Beförderung eine Wertschätzung und eine langfristige Aufgabe und das stimmte mich zufrieden.
Nach einiger Zeit wurde deutlich, dass viel Geld der Holding für unterschiedliche Belange in die Tochterfirma gelenkt wurde, so dass das Kapital in der Holding immer knapper wurde. Es entstand ein Interessenskonflikt zwischen dem Gesellschafter bzw. Inhaber und uns in der Tochterfirma. Einer der Inhaber entwickelte sich zusehends zu einem unberechenbaren Idioten, wahrscheinlich auch aus einer gewissen Hilflosigkeit heraus. Im Wettbewerb zu der Liquidität, die es da noch gab, investierte er in die Entwicklung von Projekten, an denen er am meisten hing, statt in die Absicherung bzw. Stabilisierung der Firma. Ich hatte ernstlich Sorge, dass wir die Firma vor die Wand fahren und dann gibt es für Dich als Geschäftsführer ein echtes Problem: Wenn Du nicht nachweisen kannst, dass Du die Insolvenz nicht hast kommen sehen, dann bist Du dran.
Wir hatten keinen Gewinn geschrieben, wir waren kurz davor, aber wir waren eben noch ein Stück davon entfernt, sprich, wenn Du jeden Monat Mittel aus der Holding erhältst, dann kannst Du nicht sagen, Du hast nicht kommen sehen, dass die Firma nicht funktioniert.
Und da hatte ich Sorge. Unser Geschäft lief weiterhin nicht gut. Wir hatten eigentlich gedacht, wir knacken die Verlustzone oder den break even und kommen in die Gewinnzone. Das haben wir nicht geschafft, und zwar deutlich nicht geschafft. Gleichzeitig war es unheimlich mühsam und schwer mit dem Inhaber zu planen. Da war das Vertrauen verloren gegangen.
Es war durchaus ein beeindruckendes Gelände, eine riesen Infrastruktur eines ehemaligen Produktionswerks und für so etwas brauchst Du nun mal auch ganz viele Spezialisten, weil entsprechende Zertifikate gefordert sind z. B. für bestimmte Schweißverfahren etc. Allein wenn ein Dach renoviert oder ersetzt werden musste, ist man bei 30.000qm schnell bei einer Summe von ein paar Millionen. Auch musste viel in die Maschinen investiert werden plus anfallende Personalkosten, Ausbildungen und Zertifikate.
Für mich war es eine ständige Belastung nicht zu wissen: haben wir noch Unterstützung oder haben wir keine Unterstützung der Holding mehr? Und dann die Sorge auch aus Haftungsgründen her. Du gehst als angestellter Geschäftsführer in die private Haftung. Gerade bei einer Insolvenz oder wenn Du den Arbeitsschutz verletzt. Das sind die beiden gefährlichsten Gründe. Und diesmal habe ich mir dann rechtzeitig gesagt: ich werde nicht in die persönliche Haftung gehen für Entscheidungen, die ich nicht getroffen habe. Selbst wenn der Inhaber mir versprochen hätte, dass er alle Folgen finanziert, bist Du als Geschäftsführer derjenige, der letztlich dennoch haftet.
Zusätzlich hat er auch massiv in das Tagesgeschäft mit eingegriffen, was er gesetzlich eigentlich nicht darf. Und da habe ich dann die Reißleine dieses Mal früher gezogen. Ich verspürte einen so großen Druck und dachte, die knipsen hier gleich das Licht aus, dass ich dachte: je schneller, je besser. Und zwar mit allen Konsequenzen und so schnell wie möglich.
Was machst Du heute?
Heute merke ich, dass der Vertrauensfaktor sehr viel ausmacht. Zweimal habe ich vertraut, weil ich die zuständigen Leute persönlich kannte. Und dennoch lernt man sich erst mit der Zeit wirklich kennen und in druckvollen Situationen. Vielleicht war ich zu gutgläubig oder gar naiv. Heute würde ich mich viel klarer und früher absichern.
Jetzt schaue ich mich nach etwas um, das mir Spaß macht, was eine gewisse Perspektive hat, eben auch um diese noch anstehenden 10-15 Jahre sinnvoll abzudecken. Gleichzeitig gibt es gewisse Rahmenbedingungen, die bedient werden wollen, so dass ein bestimmtes Einkommen ebenfalls maßgeblich für mich sind. Inzwischen sind Kinder groß und ich kann freier meinen Standort wählen. Damit spiele ich gerade und teste den Markt, denn es gibt unterschiedliche Resonanz in den verschiedenen Regionen Deutschlands auf mein Profil.
Möglicherweise kaufe ich mich in ein bereits vorhandenes Franchise System ein, statt mich in ein Angestelltenverhältnis zu begeben, denn dann kann ich selbstbestimmter als auch selbstverantwortlicher arbeiten, und habe damit die Problematik nicht, dass der über mir, ein Idiot sein kann.
Was mich einfach aus reiner Begeisterung reizen würde, ist, in einer relativ frühen Phase in ein Start Up Unternehmen einzusteigen, aber meist fehlt da das Kapital für meine Gehaltsvorstellungen. Ist aber eine sehr spannende Tätigkeit. Sie haben dort in dem Sinne keine Spezialisten, die bilden sich mit der Zeit erst raus. Am Anfang wird von allen alles gemacht, was sogar klappt, Fehler werden von allen getragen und ausgebessert, sie wachsen, aus vielleicht 5 werden dann 10 Mitarbeiter, und mit der Zeit kann eben nicht mehr jeder alles machen und es braucht neue Strukturen und Besetzungen. Das ist hochspannend, das würde mir große Freude machen, wie z. B. als eine kleine Miniunternehmensberatung, da lebst Du größtenteils eben von Deiner Berufserfahrung.
Was ist Dein Fazit?
Gerade auch in der Wirtschaft gibt es verschiedene Arten zu führen und auch mal einen härteren Ton oder einen Chef, der für manch einen aus der Kuschelwelt als unzumutbar erscheint, und doch sind es oft Menschen, die sehr respektiert werden, weil sie gleichzeitig hinter den Leuten stehen und diese hinter ihm. Das mag man nicht sofort erkennen und es braucht dazu eine gewisse Erfahrung und gewisses Fingerspitzengefühl und ein paar Erlebnisse mit dem, und dann weißt Du, was für ein Typ das ist. In Studien liest man gern die grundsätzlichen Wege, dass Mitarbeiter länger loyal bleiben, wenn man sie so und so behandelt, das stimmt einfach nicht immer. In der Praxis hängt einfach ganz viel von den Sachen zwischen den Zeilen ab.
Mir wurde dadurch klar, dass man nicht erst einen smarten Plan B haben oder schon den nächsten festen Job in der Tasche haben muss – wozu ich immer jedem raten würde, Du bist ja bescheuert zu kündigen, such Dir erst was und dann geh – dennoch gibt es einfach Situationen, da musst Du handeln. Es gibt einfach eine Stelle, an der ist eine Schmerzgrenze erreicht, da muss man auch drauf reagieren.
Das ist an zwei Stellen sehr markant der Fall gewesen in meiner Laufbahn. Ich hatte mich wertgeschätzt gefühlt, aufgrund der Anfragen bzw. Angebote durch mir bekannte Menschen und durch Beförderungen, die mir entgegen gebracht wurden. Vielleicht hat mich das zu naiv vertrauen lassen.
Jungen Menschen würde ich daher sagen: „Ihr müsst Euch klar sein: das Berufsleben geht ganz schön lange.“ Am Anfang kann man noch viel ausprobieren. Dennoch würde ich empfehlen, dass sie immer etwas wählen, bei dem sie mit einer gewissen Begeisterung dabei sind. Das braucht es. Wichtig finde ich auch, das Gesamtpaket im Auge zu behalten, es geht immer um die persönliche Entwicklung (fördert die Firma mich, kann ich mich gut einbringen, ist es spannend etc.), um Perspektive, um das Gehalt, um die Struktur (Angestellt-sein oder Selbständigkeit). Denn je weiter Du Dich entwickelst, umso genauer weißt Du, wohin es weiter gehen könnte.
Und ich möchte ans Herz legen: auch wenn es einmal dicke kommt, es gibt immer einen zweiten Weg. Sprich: Du kannst auch nochmal etwas komplett Anderes machen. Wenn Du z. B. in der Bank groß wirst und merkst irgendwann, eigentlich ist das alles ganz schön hohl hier oder zu unpersönlich oder was auch immer, dann kannst Du immer noch Museumsdirektor werden. Wenn man das will, dann kann man das auch. Aber diese Möglichkeit gibt es eben nicht zehnmal im Leben. Einfach weil die Zeit dafür nicht reicht. Bei mir reicht sie gerade noch. (lacht)