Reihe: Positionswechsel – Interview mit Strafanwalt

Wir führen das Interview im Freien. Der Anwalt ist Mitte 40 und in meiner Interview-Reihe weniger ein Positionswechsler als ein Positionswähler. Seine Kriterien, weshalb er von Anfang an bewusst diese und keine andere anwalterische Position gewählt hat, erzählt er hier:

 

Welche Ausbildung hast Du gemacht und was daran hat Dich gereizt?

Ich hatte mich entschieden, mir ein Studium zu suchen, mit dem man sich nicht zu früh festlegt bzw. festlegen muss. Das war für mich Jura, weil das ziemlich in die Breite ging. Denn am Ende kann man damit sehr viel machen: Man kann Journalist werden, Anwalt, Richter, Staatsanwalt, in die Wirtschaft gehen. Sprich: ich wollte mir Optionen offen halten. Das hätte man mit BWL sicherlich auch gekonnt, aber Mathe war nicht wirklich meins und fiel daher weg (lacht).

Und ich mag den Umgang mit Menschen oder bin an ihnen interessiert. Wenn man darauf keine Lust hat, dann sollte man es echt lassen, egal was es dann ist in diese Richtung, sei es Anwalt, Arzt oder Kassiererin. Und ja, mir liegen Menschen. Ich habe das in Gesprächen immer wieder gemerkt, dass da was passiert bei denen, wenn ich mit denen rede. Das ist schon immer so gewesen, auch in der Schule wurde es an mich herangetragen Schulsprecher oder Kurssprecher zu sein. Ich habe aber auch gemerkt, dass viele einfach feige sind und einen Idioten brauchen, der für sie in die Presche springt, um am Ende dann alleine da zu stehen. Das habe ich auch früh gelernt.

Jura ist letztlich eine Frage von Ausdauer, weniger von Intelligenz. Ausdauer habe ich vom Sport mitgebracht. Nur 3% sind wirklich brillante Köpfe und schaffen eine super Note wie ein sehr gut oder gut. Wer das schafft, erhält es nicht durch Zufall und auch nicht durch Glück, sondern dann bist Du echt schlau. Unter den Juristen machen ca. 40% einen Abschluss mit Prädikat, was ein voll befriedigend oder befriedigend + oder ausreichend bedeutet.

Jura eröffnet einem 3 Gebiete:

  1. Öffentliches Recht, welches Bürger und Staat regelt, wie Baurecht und Genehmigungsverfahren, etc.
  2. Zivilrecht, Ansprüche von A gegen B, Mietrecht, Familienrecht etc.
  3. Strafrecht, Angeklagter bzw. Beschuldigter, der sich einem Tatvorwurf ausgesetzt sieht.

Mich hat schon immer das Strafrecht interessiert, auch wenn Du an der Uni lediglich verschriftlichte Sachverhalte bearbeitest. Eigentlich weniger spannend, als nachher in der Praxis, aber das Fach selbst, das Thema, die Beurteilung, fand ich schon immer sehr spannend.

Jura ist ja eigentlich etwas Abstraktes, was auf die unterschiedlichsten Lebenssachverhalte angewendet werden kann. Ich erkannte schnell: Im Zivilrecht waren die dortigen Themen in meinem jungen Alter nicht meine Themen gewesen, wie z.B. Bankrecht, Pfandbriefe, Hypotheken, Zinsen, auch wenn sie in der Retrospektive juristisch durchaus spannend sind. Auch Baurecht war mir damals relativ egal, ob ein Nachbar Klage gegen eine Baugenehmigung vornehmen kann.

Strafrecht, nun ja: A bringt B um oder B vergiftet C, sind Lebenssachverhalte, die viel eingängiger sind von Anbeginn. Also herauszufinden, was TAT-sächlich passiert ist. Eine juristische Beurteilung ist ja dann nochmal eine ganz andere Frage. Eigentlich wird Strafrecht oft als leicht gehandelt, dabei ist es sogar recht schwierig.

An der Uni werden die Sachverhalte abstrakt und rein theoretisch behandelt, es gibt sozusagen einen Krimi und der Professor stellt dann Fragen, wie sich der Täter strafbar gemacht hat. Doch erst viel später in der Praxis rückst Du der Realität näher, wird es dann auch emotional herausfordernder mit Tatort-Bildern, DNA-Spurennachweisen, Sektionsberichten von Leichen, riesen Akten voller Telefonüberwachungsprotokollen, Aktenreihen voller Beweisführungen bei Wirtschaftsdelikten etc.

Mit einem bestandenen ersten Staatsexamen machen die meisten eigentlich weiter im Studium. Manche gehen aber von hier aus schon in die Wirtschaft, in Unternehmen oder zu Verbänden oder Versicherungen. Da ich weitergemacht habe, musste ich mich für ein Referendariat bewerben und dafür 10 Monate warten. In der Zeit habe ich bei einer Versicherung erst gearbeitet und Geld verdient, bin dann 6 Monate mit dem Rucksack um die Welt gereist.

Dann kam der Antritt zum 2. Staatsexamen, neben der Praxis parallel noch zweimal die Woche theoretischer Unterricht, 6 Monate beim Richter assistieren, 3 Monate beim Staatsanwalt. Ich war in der Verwaltung Deutscher Städtetag im Bereich Kinder- und Jugendhilferecht, was mir trotzdem es Verwaltungsrecht war, aufgrund der lebendigen Praxis und Thematik sehr gefallen hat. Beinahe hätte ich noch eine Doktorarbeit geschrieben, aber dann hat sich plötzlich die Rechtslage geändert und das war‘s dann mit der Doktorarbeit.

 

Welcher Bereich hat Dich angezogen und welcher hat Dich abgestoßen?

Das hat sich schon im Referendariat in den 10 Monaten beim Anwalt herausgestellt. Ich hatte Glück gehabt, dass er mich so viel hat mitwirken und mitmachen lassen. Daher hat mich das Bild des Anwalts interessiert, Partei zu ergreifen und mich dafür sozusagen zu „prügeln“.

Ganz viel an der Entscheidung, wohin es mich dann gezogen hat, lag auch am Mentor (Ausbilder). Ähnlich wie in der Schule früher in Mathe: bei dem Lehrer, der nett war, war ich gut, bei dem, der doof war, war ich notorisch schlecht. Ich hatte Glück, denn ich hatte einen ganz, ganz tollen Ausbilder, der mir super die Möglichkeiten eröffnet hat, einfach mal zu machen und mich gestärkt hat, was im juristischen System nicht so der Standard ist. Eigentlich bekommst du sonst eher einen auf die Glocke und wirst zur Demut erzogen, weil die Deutungshoheit immer ganz hoch gehangen wird, zumindest damals war das so, ist vielleicht heute old school.

Hier merkte ich auch, wohin ich mich beruflich auf keinen Fall bewegen wollte:

Ich wollte auf keinen Fall in meinem Job nicht ständig meckern und nörgeln, wie es mir viele Beispiele unzufriedener Anwälte im Beamtenstatus gezeigt haben, die sehr viel gemeckert haben. Ähnlich wie damals bei der Bundeswehr, wo viele geschimpft und doch den Dienst immer wieder verlängert haben, statt das System zu verlassen. Ich habe für mich damals schon den Schluss gezogen, dass ich das nicht so handhaben will.

Ich wollte auch keinen Job nur um des Geld verdienen willens. Das war und ist für mich auch keine Option gewesen.

Ich wollte auch nicht in einer „Bundesliga Kanzlei“ international mitmischen, zumal ich ohnehin „nur“ ein Prädikat und kein Doppelprädikat vorzuweisen hatte. Die meisten Referendariatsabgänger, die ich später nach ein paar Jahren wiedersah, die in solchen Kanzleien tätig gewesen waren, hatten sie bald schon zeitnah wieder verlassen, weil sie völlig ausgelutscht waren. Erst da haben sie dann ihren eigenen Anspruch wieder herunter geschraubt.

Und so wählte ich den Beruf des Anwalts.
Zwar geht man als Anwalt das Risiko ein, nicht sicher Geld zu verdienen, wie ein Beamter, dafür ist man aber viel selbstbestimmter und weniger weisungsgebunden. Ich lernte auch, welche Fehler man umgehen sollte, um nicht notorisch pleite zu sein. Als Anwalt ist man ja erstmal froh, wenn man überlebt, sozusagen. Ich habe mich dann auf unterschiedliche Rechtsgebiete eingeschossen und gemerkt, dass es sinnvoll ist, eine Spezialisierung zu machen, weil man eh nicht alles können kann. Zunächst habe ich viele Unternehmensverkäufe betreut, so dass ich durch die vielen Fälle den Fachanwalt für Arbeitsrecht gemacht habe. Dann habe ich doch das Strafrecht weiter aufgeblendet und bin bis heute auch dabei geblieben und habe also noch eine Facharbeit in Strafrecht geschrieben. Für mich war das alles richtig so.

 

Welche Ausschlusskriterien hattest Du für Deinen Arbeitsplatz?

Sagen wir mal so: Jede Berufsgruppe hat so ihre eigenen hehren Bilder von dem, was man in dem Beruf so maximal erreichen kann. Wenn man die FAZ oder Süddeutsche aufschlägt und sich die Profile der Stellenangebote durchliest, dann prägt das das Bewusstsein. Dann steht da im Tenor etwas wie: wir suchen Juristen, 26 Jahre alt, 3 Sprachen fließend, promoviert, am besten noch einen ausländischen Legal Master, fachliche Berufserfahrung etc.  Sie locken mit hohen Gehältern.

Das prägt und man denkt als junger Mensch: ok, wenn man Jura studiert, dann muss man 2 super Examen machen und noch ins Ausland und dies und jenes. Sichtbar viele sind dem hinterher gehechelt und haben irgendwann gemerkt, sie kommen aus dem Rad nicht mehr raus bzw. haben gemerkt, dass sie da verheizt werden. Das geschieht in diesen Großkanzleien, die ja ganz andere Abrechnungsmodi haben, wo man eben nur Sachbearbeiter XY ist (siehe: der Anwalt als Organ der Rechtspflege sollte per se autonom und selbstbestimmt sein).

Mein Selbstverständnis von freier Advokatur, also anwaltlicher Tätigkeit, wird hier nicht entsprochen. In diesen Großkanzleien sitzen wir mit diesem Beruf letztlich als qualifizierte Sachbearbeiter, die bestrebt sind, möglichst viele Stunden zu „billen“ (in Rechnung zu stellen). Sicher braucht es bei den oftmals komplexen Fällen entsprechende Cracks und Spezialisten,  z.B. wenn ein deutsches mit einem amerikanischen Unternehmen fusioniert unter niederländischer Beteiligung und die steuerliche Frage auftaucht, wie mit dem Vermögen auf den niederländischen Antillen umzugehen ist, da es mit enormen Haftungsbedingungen verbunden ist. Aber das war nicht meine Arbeitsweise. Ich wollte Menschen als Mandanten, keine Kanzleien.

Ich habe die Freiheit, nicht jeden Morgen dieselbe Taktung einhalten zu müssen, dass ich unter Druck mit Hongkong, New York oder Tokyo telefonieren muss, tägliche Meetings absitzen muss. Ich habe stattdessen mit Menschen zu tun, manchmal vertrete ich auch Unternehmen in Teilen, aber ich habe vorwiegend mit Menschen zu tun. Damit ist die Arbeit viel steuerbarer und nicht jeder Tag völlig durchgetaktet. Ich gestalte mir die Tage selbst und habe natürlich selbstverpflichtende Regelzeiten. Ich erhalte mir meine Lebensqualität. Ich denke, dass man, wie man heute neudeutsch so schön sagt, seine “Work Life Balance“ tatsächlich selbst in der Hand hat. So lassen einen nicht nur heteronome Motive arbeiten, sprich, dass man nicht nach den Altseniorlaunen des Kanzleipartners, der da sitzt, seinen Tag taktet, nur weil der keine Lust auf seine Frau hat und bis 22h im Büro bleibt, und man als Angestellter mindestens auch bis 22.01h bleiben muss. Das hat weder was mit der Sache noch mit dem Job zu tun.

 

Was wäre eine Verbesserung oder gute Veränderung?

Die ganzen Vorgaben, die gemacht werden, die Pisa Kriterien, wo die Schüler schon vorgestanzt werden zu funktionierenden Männchen für die Industrie und Wirtschaft, da fängt es schon an. Hier kommt es ja nicht auf die pädagogisch sinnvolle Entwicklung des Kindes an, sondern darauf, was wir produzieren, was dann in den Positionen in der Wirtschaft funktioniert. Es gibt ja diesen tollen Film zu Schule und Ausbildung („Alphabet“), der vor paar Jahren rausgekommen ist. Mir ist das aber schon vor dem Film aufgegangen, durch die eigene Mühle, die man durchlaufen hat. Beim Militär ist es ja noch relativ klar: da wird man erstmal gebrochen und dann in deren Sinn aufgebaut. Das ist so gesehen eine ehrliche Sache, wenn man so will. Natürlich will man nicht sterben, aber man kann einsehen, wofür das gut ist, dass alle da im Gleichschritt sind, so dass ein gewisser Konformismus in Kampfsituationen gegeben ist. Das muss sein. Das ist ehrlich, offen und klar.

Nur ich finde, das System ist halt per se in Frage zu stellen: Bei uns in der Wirtschaft, und auch bei uns Juristen, die ja auch zu den ganz hoch gezüchteten Akademikern wie Ärzte und ähnliches gehören, ist es retrospektiv betrachtet ein riesen Problem, dass die freie Wirtschaft, sprich die Industrie vertreten durch ihre Großkanzleien, sichtbar durch alle lesbaren Anzeigen und die einhergehenden Anforderungsprofile, einen ganz perfiden Charme hat. Wer solch ein Profil erfüllt, ohne zu den wenigen zu gehören, die einen IQ von 190 haben und alles mit Intelligenz wettmachen können, der muss seine Lebenszeit fast zu 100% damit verbringen da hinein zu investieren, um die ganzen Achievements und Orden zu sammeln. Das heißt für eine persönliche, eigene Entwicklung als Mensch bleibt da null Zeit, gar nichts. Ich weiß nicht, was deren Treibkraft, deren Motiv ist, vielleicht stärkt es ein mangelndes Selbstbewusstsein oder es ist der Drang nach Titel und Rang oder einfach contest, im Sinne von „ich muss besser als der sein“, welche Dynamik sich da auch immer abspielen mag.

Es ist zu beobachten, dass diese Profile, die da gefordert werden und es scheint ja Leute zu geben, die das so bringen, macht die Leute natürlich super führbar, weil sie menschlich zwangsläufig nur so wenige skills haben. Heißt, die Leute, die da raus kommen, (Freund von mir ist Psychoanalytiker und hat es mir schon während meiner Ausbildung immer gesagt) liegen dann mit 50 als gestandene Anwälte, die freitags immer reporten mussten, wieviel Umsatz sie der Kanzlei gebracht haben, völlig ausgebrannt auf der psychotherapeutischen Couch.  Das ist von daher noch nie mein Ziel gewesen. Ich wollte nicht nur hinterher hecheln und jemanden über mir bedienen.

Sprich: die Bestimmer sind die Wirtschaftlenkenden. Sie geben den Takt vor. Und das in der Bildungspolitik, in der Ausbildung, überall. Der BDI (Bundesverband der Deutschen Industrie e.V.) hat seine angestrebten Ziele und die Politik ist froh, wenn von der Industrie Arbeitsplätz geschaffen werden. Das klingt jetzt nach einem Sponti-Spruch, aber letztlich richtet sich die Politik an den Bedürfnissen der Industrie aus. Sie alle geben also dieses Leistungsprinzip vor. Ob man will oder nicht.

Langsam ist es in HR-Abteilungen ja auch durchgesickert, dass  nicht nur Noten ausschlaggebend sind für die Frage, ob jemand den Job nicht nur einfach macht, sondern durch die sogenannten Softskills gut macht. Das finde ich im Grunde ja schon mal ganz gut.

Natürlich sind unternehmerische Ziele, Umsatz und Gewinn wichtig, es schafft Arbeitsplätze und bietet Entfaltungsraum. Vielleicht pendeln wir uns ja auf so einen goldenen Weg einmal wirklich ein. Es gibt Arbeitszeitmodelle, Gleitzeit, Mindestlohn, da hat sich zumindest schon etwas bewegt. Auf der anderen Seite hat es sich in der Wirtschaft noch nicht oder noch zu wenig herumgesprochen, dass es keinen wirklichen Sinn macht, die Leute, sprich Arbeitnehmer, einfach auszulutschen und die irgendwann einmal umkippen und dem Unternehmen nicht mehr zu Verfügung stehen, obwohl man viel Geld an Aus- und Weiterbildung in sie gesteckt hat. Immer wieder neu einzustellen, neu anzulernen, neu zu integrieren, ist eben nicht so dolle.

Juristen sind da zwar nur mittelbar betroffen, aber ein Traumbild wäre ja:

kein Wettbewerb, kein contest, kein Belohnungssystem.